Mittwoch, 29. Oktober 2008

Die Illusion der Vereinbarkeit

93 Prozent der kinderlosen Männer zwischen 15 und 33 Jahren wollen Kinder haben, so die gute Botschaft einer neuen Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, die dieser Tage vorgestellt wurde. Soweit der erfreuliche Aspekt - erfreulich aus Sicht der Frauen, deren Kinderwunsch nämlich sehr häufig am Veto ihres Partners scheitert.

Allerdings sind die Bedingungen, unter denen sich Männer das Kinderhaben vorstellen, durchaus heikel: Knapp die Hälfte ist klar für die klassische Aufgabenverteilung - sie selbst gehen arbeiten und sind der "Familienernährer", die Frau sorgt für die Kinder. Nicht einmal jeder vierte vertritt für Frauen und Männer ein egalitäres Rollenbild. Dass diese Einstellung höchst problematisch ist in Zeiten, in denen Frauen unbedingt erwerbstätig sein müssen, weil das innerfamiliäre Unterhaltsrecht gerade abgeschafft wird, und in denen der Arbeitsmarkt nicht mehr unbedingt so ist, dass ein Mann allein den finanziellen Unterhalt der Familie auf Dauer garantieren kann, ist das eine und bekannt. Und dass an dieser rückwärtsgewandten Einstellung durchaus auch die Frauen mit Schuld sind, weil es immer noch viele Frauen gibt, die von den Männern diese finanzielle Versorgerrolle erwarten, stimmt auch, geschenkt.

Was mich an der Studie nachdenklich gemacht hat, ist vielmehr ein anderer Aspekt: wie sich die befragten Männer die heute so viel diskutierte "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" vorstellen. Positiv herausgehoben wurde nämlich, dass die meisten Befragten sich (anders als die Väter aus früheren Generationen) durchaus auch in der Betreuung ihrer Kinder engagieren wollen - aber nur wenn das nicht zulasten des Berufs geht. Die mehrheit der Befragten will nicht einmal in der Zeit direkt nach der Geburt beruflich etwas zurückstecken - Elterngeld hin oder her. Viele Kommentatoren zogen daraus den Schluss, das Hauptproblem liege darin , dass die meisten Firmen und Unternehmen den Vätern diesen Spielraum für mehr Famlienzeit nicht geben.

Auch wenn das sicher so ist, bin ich bin trotzdem der Meinung, dass das Hauptproblem ein anderes ist. Weil in diesem Wunsch der Männer nämlich eine große Illusion deutlich wird, die sie haben, und die wir als Gesellschaft insgesamt zunehmend zu haben drohen: Die Illusion, man könne Kinder haben, erziehen, betreuen, versorgen, ohne dass das irgendwelche Auswirkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit hat. Das ist aber Unsinn. Eine totale "Vereinbarkeit" von Familie und Beruf gibt es nicht, jedenfalls solange nicht, wie das Berufsleben eine auch nur entfernte Ähnlichkeit mit dem von heute hat. Sicher: Die Situation kann noch wesentlich verbessert werden mit den bekannten Maßnahmen. Aber auch wenn wir für jedes Kind einen Krippen- und Kindergartenplatz haben, wenn wir Ganztagsschulen haben und flexible Arbeitszeiten, Kitas in den Firmen und verständnisvolle Chefs, die uns Familienurlaub geben, wann immer wir wollen - das alles wird nichts daran ändern, dass Muttersein (und, sofern die "neuen Väter" es ernst meinen, auch Vatersein) viel Zeit und Kraft kostet. Und das bedeutet nun einmal, dass diese Zeit und Kraft der Karriere nicht zur Verfügung steht.

Ich gebe zu, dass die Frauenbewegung mit dem Slogan "Beruf und Familie sind vereinbar" etwas zur Entstehung dieser Vereinbarkeits-Illusion beigetragen hat. Da früher die Arbeitgeber den Frauen pauschal unterstellt haben, sie würden ja ohnehin irgendwann Kinder haben und damit nicht mehr so komplett leistungsbereit sein, mussten wir sozusagen das Gegenteil behaupten: Auch die Frau, die Mutter ist, ist eine komplett leistungstüchtige Arbeitnehmerin. Aber wenn wir früher für die "Vereinbarkeit" von Beruf und Familie argumentierten, dann bedeutete das, etwas gegen die damals verbreitete Ansicht zu unternehmen, dass beides komplet unvereinbar sei: Jede berufstätige Frau eine Rabenmutter. "Vereinbarkeit" bedeutet, dass beides - mit Kompromissen auf beiden Seiten - durchaus unter einen Hut zu bringen ist. Dass, wenn man hier wie da ein paar Abstriche macht, sich weibliche Erwerbstätigkeit und Mutterschaft sogar unter Umständen gegenseitig bereichern und befruchten können, dass der Gegensatz nicht so pauschal und absolut ist, wie das Patriarchat früher behauptet hat.

Vereinbarkeit bedeutet aber nicht, dass ich beides haben kann ohne dass es auch nur den allerleisesten Konflikt geben wird. Frauen wissen das natürlich. Deshalb gehen ja so viele von ihnen auf Teilzeit, wenn sie Mütter werden. Deshalb bekommen sie nur ein oder zwei Kinder statt drei oder vier, um im Beruf nicht ganz den Anschluss zu verlieren. Dies bedeutet "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" - auf beiden Seiten Abstriche machen, um die beiden Bereiche mit einander zu kombinieren und zu verbinden.

Es ist aber völliger Wahnsinn, wenn sich immer mehr die Meinung durchsetzt, diese Abstriche wären keinesfalls nötig, sondern es ließe sich die 100-prozentige Berufstätigkeit umsetzen, auch wenn man Mutter (oder Vater) von Kindern ist - und wenn für diese 100-prozentige Berufstätigkeit auch noch der verheiratete Mann zum Maßstab genommen wird, dessen Frau sich nicht nur um die Kinder kümmert, sondern ihm selbst das Wäschewaschen, Putzen und Essenkochen weitgehend abnimmt.

Die aktuelle Studie hat gezeigt, wie weit verbreitet diese Vereinbarkeitsillusion unter jungen Männern schon ist, und deshalb ist Zeit, ihnen zu sagen: Wenn ihr aktive Väter werden wollt, dann heißt das auf jeden Fall, dass Ihr Abstriche beim Beruf machen müsst. Man kann nicht gleichzeitig aktiver Vater und 60-Stunden-Karrieremacher sein. Der Tag hat nämlich nur 24 Stunden und unsere Kräfte sind irgendwann erschöpft, und eure auch.

Die Botschaft der Stunde wäre also die: Beruf und Familie sind nicht vereinbar. Jedenfalls nicht ohne Kompromisse. Beruf und Familie sind natürlich auch nicht ganz und gar unvereinbar. Aber es handelt sich beim Kombinieren von Erwerbsarbeit und Haus- und Fürsorgearbeit eben weder um ein plattes "entweder-oder", wie man früher meinte, noch um ein ebenso plattes "sowohl als auch", wie man heute meint. Sondern die Herausforderung (und das war der Grund, warum die Frauenbewegung vor dreißig Jahren eine "Vereinbarkeitsdebatte" vom Zaun gebrochen hat) besteht darin, beides auf ganz neue Weise zu kombinieren, ohne das eine von vornherein dem anderen unterzuordnen. Solange so viele Männer und leider auch die Mehrzahl der "Familien"-Politikerinnen und -Politiker dies nicht in Angriff nehmen, sondern so tun, als könnte man alles um den 100-Prozent-Vollzeitarbeitnehmer (in männlicher und weiblicher Version) organisieren, wird es dabei bleiben, dass das Problem der Unvereinbarkeit von Beruf und Familie diejenigen ausbaden müssen, die Kinder haben und versorgen.

Das sind heute noch in übergroßer Mehrheit Frauen. Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass wir als Gesellschaft die "Kinder haben schränkt doch die Erwerbsfähigkeit kein bisschen ein"-Lüge auf dem Rücken derer austragen, die sich den Tatsachen stellen und auf Karrierechancen und Einkommen verzichten, um Zeit und Energie fürs Kinderversorgen zu haben. Ob davon nun 5 Prozent Männer sind (wie jetzt) oder 50 (wie in einer möglichen gleichstellungsparadiesischen Zukunft), ist aus meiner Sicht so ziemlich egal.


Zum Weiterlesen: Bertelsmann Stiftung (Hrsg): Null Bock auf Familie? Der schwierige Weg junger Männer in die Vaterschaft. Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2008, 20 Euro.


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Abschied vom Traummann (für eine Vaterschaft light) und

Über das Müssen

Freitag, 17. Oktober 2008

Wenn Männer die Rechnung teilen....

In der aktuellen Ausgabe von "Brandeins" (Oktober 2008) las ich gerade eine Rezension von Peter Felixberger über ein Buch, das "Die Logik des Lebens" betitelt ist. Der Autor, Tim Harford, will darin die These untermauern, dass Wirtschaft keineswegs immer ein Ergebnis rationalen Handelns ist (für eine Feministin ja nicht sonderlich überraschend).
Erläutert wird dies an einem "Alltagsbeispiel", das der Rezensent folgendermaßen wiedergibt: "Man geht mit zehn Leuten in ein Restaurant. Im ersten Überschwang einigt man sich unbürokratisch, die gesamte Zeche zu gleichen Teilen auf alle zu verteilen. Klingt zunächst ökonomisch sinnvoll und gerecht, doch das Ende vom Lied sieht anders aus: Alle zahlen mehr, weil jeder mehr bestellt, in der Sorg, zu kurz zu kommen. Das ist wirtschaftliche Logik mit unangenehmen Folgen."
Hä????
Das sind ja merkwürdige Leute, die der da im Sinn hat. Wenn ich mit zehn Freundinnen essen gehe und wir so eine Regel verabreden (was wir oft tun), dann bestellen wir normalerweise alle möglichst wenig, weil jede vermeiden will, den Etat der anderen mit ihrer Bestellung unnötig in die Höhe zu treiben.
Eigentlich ist natürlich sowohl das eine wie das andere irgendwie idiotisch (obwohl ich, wenn ich wählen müsste, dann doch das Verhalten von Timm Harfords Leuten noch ein bisschen idiotischer finde).
Worauf es mir ankommt ist, dass wir es offenbar hier mit ziemlich unterschiedlichen Vorstellungen davon zu tun haben, was "normales" Verhalten ist. Und ich mag mir gar nicht vorstellen, was erst passiert, wenn fünf Frauen und fünf Männer zusammen essen gehen. Insofern hat mir dieses Beispiel die Augen geöffnet: IN SO EINER SITUATION NIE DIE RECHNUNG TEILEN!!!!

Dienstag, 7. Oktober 2008

Die Rückkehr der Vielehe

Kürzlich war ich dabei, als sich bei einer Diskussionsveranstaltung ein Streit darüber entspann, ob das neue Unterhaltsrecht gut oder schlecht für die Frauen ist. Einige Diskussionsteilnehmerinnen klagten darüber, dass viele Frauen, die jahrelang als Hausfrauen für Kinder und Ehemann gearbeitet hatten, nun um ihre finanzielle Absicherung fürchten müssten. Woraufhin andere die neue Regelung verteidigten, darunter auch eine Bundestagsabgeordnete, die schilderte, wie Politikerinnen aus allen Parteien gemeinsam dieses Thema diskutiert und schließlich die Neuregelung befürwortet hätten. Sie sagte in etwa: "Es ist jetzt zwar für die Erstfrauen schlechter geworden, aber wir hatten eben auch die Interessen der Zweit- und Drittfrauen im Auge."
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In diesem Moment wurde mir klar, womit ich als Idee schon eine ganze Zeit schwanger gehe, was ich aber bis dahin nicht so formuliert hätte: Wir erleben derzeit eine Rückkehr der Vielehe. Das soziologische Gerede von der "seriellen Monogamie" stimmt überhaupt nicht. "Seriell" ist die Monogamie, also die exklusive Lebensgemeinschaft eines Paares, nämlich höchstens im Hinblick auf den Sex - darüber besteht jedenfalls noch Einigkeit: Wer mit der einen pennt, darf nicht (mehr) mit der anderen. Aber im Hinblick auf die Gesamtheit der Beziehung stimmt es ganz oft nicht, nämlich immer dann, wenn Kinder da sind. Da ist es doch heutzutage ausdrücklich gewünscht, dass die Beziehung der Kinder zu beiden Elternteilen auch nach der Scheidung aufrechterhalten werden. Es ist aber völlig unsinnig anzunehmen, ein Vater könnte eine intensive und verantwortungsvolle Beziehung zu seinen Kindern pflegen, ohne gleichzeitig auch eine (wie auch immer geartete) Beziehung zu deren Mutter zu haben.

Wie soll man dieses komplizierte Beziehungsgefüge organisieren? An dieser Frage scheitern heute viele Liebesbeziehungen zwischen Frauen und Männern. Eine Freundin von mir hat sich zum Beispiel gerade von ihrem Freund getrennt, mit dem sie seit drei Jahren ein Paar war. Das ungeklärte Verhältnis zu seiner Ex und den noch kleinen Kindern war ein dauernder Streitpunkt gewesen. Meine Freundin hatte den Eindruck, immer nur um die Bedürfnisse der "Erstfamilie" herumorganisiert zu werden - angefangen vom Urlaubstermin über die Frage, in welcher Stadt man wohnt, bis hin zur Planung der Weihnachtsfeiertage. Endgültig gereicht hat es ihr dann, als ihr Freund den Vorschlag machte, sie könnten doch eine Wohnung im selben Haus beziehen, in dem auch seine Exfrau und die Kinder lebten. Das wäre doch organisatorisch am einfachsten, fand er. In dem Moment beschloss sie, dass das Leben einer Zweitfrau wohl doch nichts für sie ist.

Vielleicht wird es Zeit, sich einzugestehen, dass die so genannte "serielle Monogamie" überhaupt keine Monogamie ist. Monogamie ist nämlich, so sagt die Lexikon-Definition, "die lebenslange (sic!) exklusive Fortpflanzungsgemeinschaft zwischen zwei Individuen". In diesem Sinne ist unsere Kultur ganz offensichtlich schon lange nicht mehr monogam. Hierzulande wird "monogam" verstanden als "in einem bestimmten Lebensabschnitt nur mit einer Person Sex haben." Die Frage, wer mit wem ins Bett geht, ist aber in diesem Zusammenhang ziemlich unerheblich. Solange keine Kinder da sind, entstehen diesbezüglich im Allgemeinen keine größeren Probleme, jedenfalls keine, die erwachsene Menschen nicht im Normalfall untereinander regeln könnten.

Das Hauptproblem besteht ganz eindeutig im Hinblick auf die Kinder und die Frage, wie stabile Elternbeziehungen auf der einen und wechselnde Sexualbeziehungen auf der anderen Seite unter einen Hut gebracht werden können. Oder konkret: Wer sich mit wem wie intensiv verbunden fühlt, wo der emotionale Lebensmittelpunkt liegt, wo die Verantwortlichkeiten und Verbindlichkeiten.

"Fortpflanzungsgemeinschaften" lassen sich eben nicht "seriell" organisieren. Jedenfalls dann nicht, wenn eine Gesellschaft den Anspruch auf lebenslange verantwortliche Elternschaft sowohl von Vater als auch von Mutter legt. Es gäbe natürlich andere Möglichkeiten. Matriarchale Gesellschaften zum Beispiel sind häufig so organisiert, dass sie Vaterschaft und Sexualität trennen: Die Rolle des sozialen Vaters, also der verlässlichen, lebenslang verpflichteten männlichen Bezugsperson eines Kindes, übernimmt der Bruder der Frau, während die Sexualpartner der Mütter wechseln können. Männer sind also nicht die Väter der Kinder, die ihre (wechselnden) Sexualpartnerinnen zur Welt bringen, sondern sie sind die Väter ihrer Nichten und Neffen, der Kinder ihrer Schwestern, mit denen sie ja auch ohnehin eine lebenslange familiäre Beziehung verbindet.

In diese Richtung einer kulturellen Trennung zwischen biologischer und sozialer Vaterschaft geht die Entwicklung hierzulande aber gerade nicht. Die "biologische" Vaterschaft wird - wie die jüngste Aufwertung genetischer Vaterschaftstests in juristischen Verfahren zeigt - im Vergleich zur sozialen Vaterschaft sogar immer wichtiger. Vor allem die Männer scheinen hieran ein großes Interesse zu haben. Doch wenn man dies will, muss man sich auch den Konsequenzen solcher Verhältnisse stellen: Wenn Väter und Mütter das Recht auf wechselnde, serielle Liebesbeziehungen inklusive daraus möglicherweise resultierender weiterer Kinder haben, dann ist das faktische Polygamie.

Dass dies nicht offen thematisiert wird, sondern unter dem verschleiernden Begriff der "seriellen Monogamie" diskutiert wird (der im Hinblick auf die Fortpflanzung nun einmal ähnlich widersinnig ist wie der sprichwörtliche schwarze Schimmel) liegt natürlich daran, dass wir komplexe Familienstrukturen, die über die intime Zweierbeziehung als "Keimzelle" hinausweisen, hierzulande offiziell ablehnen. Schon in der Schule haben wir schließlich gelernt, dass der Übergang von der bösen Polygamie der wilden Naturvölker zur guten Monogamie der zivilisierten Gesellschaften ein Fortschritt in der Menschheitsgeschichte war.

Derzeit ist das Thema zudem besonders heikel, weil diese alte, patriarchale Vielehe doch eher bei den vermeintlich so rückständigen Muslimen vermutet wird, als mitten unter "uns" aufgeklärten Leuten. Dabei ist es natürlich völlig abwegig zu glauben, dass die alten Araber ihre vielen Frauen alle gleichzeitig geehelicht hätten. Natürlich taten auch sie das in der Regel "seriell", also hübsch nacheinander. Und auch damals wird es im wesentlichen so gewesen sein, dass die "Erstfrau" vor allem, was das Nachtlager betraf, gegen ihre jüngeren, sexuell attraktiveren Nachfolgerinnen ausgetauscht wurde, aber als Mutter der bereits geborenen Kinder eben weiterhin zum Familienkreis gehörte. Dass der Prophet Mohammed irgendwann die Parole ausgab, bei vier Frauen müsse Schluss sein, hatte auch keineswegs sexualmoralische, sondern ökonomische Gründe: Es ging, damals wie heute, um die Frage der wirtschaftlichen Absicherung von Frauen und Kindern durch das Unterhaltsrecht.

Eines allerdings ist heute anders geworden, und das ist die Gleichberechtigung der Geschlechter. Es sind nicht mehr, wie in patriarchalen Zeiten, nur die Männer, denen es erlaubt ist, im Laufe der Zeit mehrere Frauen zu haben, sondern auch die Frauen dürfen heute mehrere Männer haben. Das macht das Problem aber nicht unbedingt einfacher. Auch so manchem "Zweitmann" dürfte das familiäre Kuddelmuddel seiner bereits mit einem anderen Mann Mutter gewordenen Lebenspartnerin Probleme bereiten. Immerhin können die Männer, anders als die Frauen, hier auf den Faktor Zeit spekulieren: Bei den Frauen ist nämlich irgendwann mit dem Mutterwerden Schluss, während die Männer bis ins hohe Alter weitere Kinder zeugen können. Deshalb ist das neue Unterhaltsrecht auch unter Geschlechteraspekten höchst ungerecht: Ein "Erstmann", der wegen der Kinder auf Karrierechancen verzichtet hat, kann sich relativ sicher sein, dass die gut verdienende Mutter seiner Kinder irgendwann keine weiteren Kinder in die Welt setzt, denen (und deren Vätern) gegenüber sie möglicherweise unterhaltspflichtig ist. Den "Erstfrauen" geht es da deutlich schlechter. Sie müssen bis ans Lebensende um ihre Unterhaltsansprüche bangen, da die gut verdienenden Väter ihrer Kinder jederzeit die Möglichkeit haben, erneut mit anderen Frauen Kinder zu haben.

Was die ökonomische Seite des Problems betrifft, so ist eine Lösung aber in Sicht: die finanzielle Unabhängigkeit aller erwachsenen Individuen. Wenn erst einmal alle Frauen und Männer erwerbstätig und individuell ökonomisch abgesichert sind, dann verliert die Frage des Unterhaltsrechts an Bedeutung. Dass dieser Weg bislang nur halbherzig eingeschlagen wird - unter anderem deshalb, weil die ökonomische Bedeutung von Haus- und Familienarbeit noch immer nicht in aller Klarheit mit einkalkuliert wird - ist zwar wahr, aber kein symbolisches, sondern lediglich ein handwerkliches Problem der Politik. Denkbar ist so eine Lösung, und im Großen und Ganzen sind wir ja auch bereits auf dem Weg dorthin.

Dennoch glaube ich, dass das Problem der heutigen, uneingestanden polygamen Beziehungsstrukturen damit nicht gelöst ist. Meine Freundin zum Beispiel, die keine andere Lösung sah, als sich von dem Mann, den sie eigentlich liebt, zu trennen, hat kein wirtschaftliches Problem. Dass ihr Freund sein Einkommen mit seinen Kindern und deren Mutter teilt, findet sie völlig in Ordnung. Als ökonomisch selbstständiger Frau kann es ihr ja auch egal sein. Ihr Problem ist vielmehr, dass es ihr in dieser Beziehungskonstellation nicht möglich ist, weiterhin den Traum einer monogamen Liebesbeziehung zu träumen. Sie musste einsehen, dass sie mit diesem Mann, obwohl sie ihn liebt, keinen intimen Familienbereich gründen (und in diesem Binnenraum selbst Mutter werden) kann, ohne dass dieser "monogame" Bereich gewissermaßen "gestört" wird durch die gleichfalls berechtigen Ansprüche anderer Frauen und Kinder, die durch ebenso intime Beziehungen mit diesem Mann bereits verbunden sind.

Worauf ich mit diesem Artikel hinaus will ist, zu zeigen, dass Probleme dieser Art nicht nur individuelle Probleme sind, sondern die logische Folge der Art und Weise, wie wir über Familien und Liebesbeziehungen sprechen und nachdenken. Früher, in patriarchalen und monogamen Zeiten, hatte der Liebeskummer der Frauen seinen Grund in einem individuellen Fehlverhalten der betreffenden Männer. Zwar war sexuelle Polygamie, insbesondere unter Männern (aber wahrscheinlich auch unter Frauen) schon immer weit verbreitet. Doch wenn ein Ehemann mit der Sekretärin ins Bett ging oder die Ehefrau den Briefträger verführte, dann entstanden daraus keine moralisch von der Gesellschaft eingeforderten Folgen und Verpflichtungen. Monogamie hieß eben, dass die erste, eigentliche, gesetzlich abgesegnete Beziehung (die Ehe) als einzige zählte. Entsprechend war sich die "öffentliche Meinung", also die Nachbarinnen, die Schwiegermütter, die Zeitungsschreiber und so weiter, auch einig: Wer "fremdgeht" - egal ob als Verheirateter oder mit einem anderweitig Verheirateten - handelt schlecht, ist schuldig, hat keine Ansprüche zu stellen.

Das hat sich geändert. Wir möchten, dass die Ansprüche aller Beteiligten gehört und beachtet werden. Das heißt aber, dass heute der aus "Mehrfachbeziehungen" herrührende Liebeskummer der Frauen (und wohl auch vieler Männer) nicht mit individuellem Fehlverhalten zu tun hat. Sondern mit widersprüchlichen, einander ausschließenden Ansprüchen der Gesellschaft: Man kann eben ganz einfach nicht sowohl intime und exklusive Zweierbeziehungen führen, als auch für die Kinder aus vorangegangenen Beziehungen verantwortlich und verlässlich da sein. Der Traum der intimen, exklusiven Zweierbeziehung, der Monogamie also, lässt sich nur träumen, wenn man entweder auf Kinder ganz verzichtet (und auch nur Kinderlose als mögliche Liebespartner und -partnerinnen in Betracht zieht), oder wenn man tatsächlich zur ursprünglichen Monogamie-Definition der "lebenslangen exklusiven Fortpflanzungsgemeinschaft" zurückkehrt. Und es ist wohl kein Zufall, dass es für beides derzeit starke gesellschaftliche Tendenzen gibt.

Wenn wir das aber nicht wollen, wenn wir vielmehr eine Gesellschaft wollen, in der weiterhin Kinder geboren werden, die Erwachsenen aber dennoch frei sind, ihre Sexualpartner und -partnerinnen im Laufe der Zeit zu wechseln, dann werden wir uns wohl dem Thema "moderne Polygamie" zuwenden müssen. Wie können familiäre Beziehungsstrukturen funktionieren, in denen sich mehrere Frauen und Männer, die in komplizierten Strukturen wechselseitig durch (ehemalige und aktuelle) Sexualbeziehungen sowie durch ein komplexes Netz von sozialer oder biologischer Mutter- und Vaterschaft unweigerlich miteinander verbunden sind, wohlfühlen und menschenfreundlich miteinander umgehen?

Donnerstag, 2. Oktober 2008

Fünf Punkte für die Zukunft der Bewegung

Bis vor kurzem galt es als hoffnungslos antiquiert, sich zur Gattung „Feministin“ zu zählen. Heute ist das Label plötzlich wieder en Vogue, sogar Ministerinnen und Mainstream-Autorinnen bekennen sich dazu. Und selbst jene besonders kapriziöse Spezies entdeckt das F-Wort wieder für sich, die wir schon fast abgeschrieben hatten: die jungen Frauen. Na wunderbar! Die Frage ist nur: In welche Richtung soll es gehen? Hier sind fünf Punkte, die meiner Ansicht nach jetzt auf die Agenda der Bewegung gehören:

1. Die Suche nach dem „richtigen“ Feminismus aufgeben. Die Frauenbewegung ist heute in viele Parallelwelten zersplittert: Universitäre Genderstudies, spirituelle Ritualkreise, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, Business-Networkerinnen, Queer-Aktivistinnen oder Matriarchatsforscherinnen – und jede Gruppe beschuldigt die andere, keine „richtige“ Feministin zu sein. Insofern ist der als „Zickenkrieg“ inszenierte Medienstreit zwischen „jungen“ und „alten“ Feministinnen zwar eine falsche Skandalisierung (weil die Trennungslinie nicht wirklich zwischen Altersgruppen verläuft), aber auch nicht völlig aus der Luft gegriffen. Wenn Frauen das Engagement andersdenkender Frauen im Namen des „richtigen“ Feminismus ignorieren oder lächerlich machen, schwächen sie die weibliche Autorität insgesamt. Um Missverständnissen vorzubeugen: Das ist kein Appell für mehr Frauensolidarität. Ich finde, Feministinnen sollten sich durchaus öffentlich streiten. Aber eben über ihre unterschiedlichen Inhalte, über ihre divergierenden Urteile und Ansichten, und nicht darüber, wem das Label „Feministin“ gebührt und wem nicht.

2. Einen echten Dialog mit Männern führen. In den vergangenen Jahrzehnten ist es gelungen, Gesetze und bürokratische Regeln so zu gestalten, dass Männer in vielerlei Hinsicht ihr Verhalten gegenüber Frauen verändern mussten. Solange sie aber nicht wirklich verstehen, warum es zum Beispiel wichtig ist, inklusive Sprache zu benutzen, einen gewissen Anteil von Frauen in Gremien zu haben oder Zeit für Hausarbeit aufzuwenden, bleibt es mühsam und es besteht immer die Gefahr eines „backlash“. Wie können wir mehr Männer davon überzeugen, dass die Anliegen der Frauenbewegung wichtig sind? Damit wir nicht dauernd mit der Peitsche hinter ihnen stehen müssen? Einfache Appelle im Sinne von „die Männer müssen…“ helfen da nicht weiter, schon gar nicht, wenn sie wie so häufig in reinen Frauenkontexten geäußert werden. Mit dem ganzen Thema sollten wir phantasiereich und undogmatisch experimentieren – was im Übrigen auch bedeutet, die Männer als Gesprächspartner mit ihrer Kritik und ihren Vorbehalten gegen den Feminismus (oder das, was sie darunter verstehen) ernst zu nehmen.

3. Feminismus zum kulturübergreifendes Projekt machen. Noch immer ist der Feminismus in Deutschland, und zwar in allen seinen „Fraktionen“, überwiegend eine Angelegenheit weißer, mittelständischer Frauen. Das schwächt die Bewegung enorm und birgt sogar große Gefahren (zum Beispiel, weil der interkulturelle Dialog in Deutschland gegenwärtig zu einer Angelegenheit konservativer Männer zu werden droht). Um das zu ändern, ließe sich einiges von den „postcolonial Studies“ in den USA lernen. Vor allem aber braucht es konkrete Beziehungen zu Frauen aus anderen Kulturen, die auf einem echten Interesse aneinander basieren – und das auch dann, wenn diese nicht die Glaubenssätze des westlich-emanzipatorischen Feminismus teilen. Vielleicht gibt es ja auch noch andere Wege zu weiblicher Freiheit. Das ist im Übrigen kein Kulturrelativismus, sondern die einzige Chance, die wir haben, um Frauen aus anderen Kulturen eventuell vom Wert „westlicher“ Errungenschaften zu überzeugen.

4. Der neoliberalen Einverleibung feministischer Forderungen entgegentreten. Zurzeit ist die Wirtschaft sehr an der Verfügbarmachung qualifizierter, leistungsfähiger Frauen als „Human Resources“ interessiert. In diesem Kontext werden alte feministische Forderungen wie Kinderkrippen, Entlastung der Frauen von Haus- und Familienarbeit sowie die Selbstverständlichkeit weiblicher Erwerbsarbeit politisch konsensfähig. Das ist einerseits natürlich schön. Andererseits war der Feminismus aber immer mehr als ein Hilfsmittel zur Optimierung des Kapitalismus, nämlich eine soziale Bewegung, die über die Grenzen des Gegebenen hinausführt. Das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren – und auch jenen neubekehrten Feministinnen vermitteln, die mit der Geschichte der Frauenbewegung vielleicht nicht so vertraut sind.

5. Postpatriarchale Weltgestaltung statt Kampf für Fraueninteressen. Viele Konfliktlinien, die früher zwischen Frauen und Männern verliefen, verlaufen heute anderswo: Zwischen gut und schlecht Verdienenden, zwischen Erwerbsarbeitenden und Arbeitslosen, zwischen denen, die für Kinder oder Kranke sorgen und denen, die das nicht tun. Mit Statistiken über prozentuale Frauenanteile hier und da lässt sich das nicht mehr angemessen analysieren. Deshalb wird die Frauenbewegung in Zukunft noch weniger als bisher einfach nur für „Fraueninteressen“ eintreten können. Worum es vielmehr geht, ist postpatriarchale Weltgestaltung in einem umfassenden Sinn: um die Frage, wie denn in Zukunft diese Welt und das Zusammenleben aller Menschen auf eine gute Weise gestaltet werden soll.